Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne

Nachdem die befreiten Kriegsgefangenen in ihre Heimat zurückgekehrt waren, nutzte die britische Militärregierung das Gelände bis 1947 als Internierungslager für Deutsche: Etwa 8.500 Menschen, vor allem Partei- oder sonstige Mitglieder von NS-Organisationen sowie mutmaßliche Kriegsverbrecher wurden festgesetzt, damit ihre Verstrickungen in die kriminellen Taten der vergangenen Jahre untersucht und bestraft werden konnten.
Anschließend wurde das Lager 23 Jahre lang zur Unterbringung von Flüchtlingen und Vertriebenen aus den ehemals deutschen Gebieten im Osten genutzt. Betreiber der Einrichtung war bis 1970 das Sozialwerk Stukenbrock. Seit der Schließung ist auf dem Gelände das Bildungszentrum „Erich Klausener“ der Polizei untergebracht.

„Blumen für Stukenbrock“

Einen Umgang mit dem historischen Ort zu finden, war für Anwohner*innen und die deutsche Politik lange Zeit schwierig. Zwar gab es das Gräberfeld und den Obelisken mit der dreisprachigen Inschrift, der von Überlebenden 1945 errichtet worden war. Etwa 65.000 Tote, fast ausschließlich Rotarmist*innen, sind hier in 36 Massengräbern beerdigt.
Aber Erinnerungszeichen können „verstauben“ – oder lebendig gehalten werden. Hier entschied nach über 20 Jahren des Beschweigens die Zivilgesellschaft: Seit 1967 werden jedes Jahr am 1. September, zum Antikriegstag, Blumen auf die Gräber gelegt. Initiiert hatten das damals Gewerkschafter*innen, Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und Friedensbewegte. Diese Aktion, „Blumen für Stukenbrock“, wurde zeitweilig sogar vom Verfassungsschutz beobachtet: In Zeiten des Kalten Krieges wurde alles, was irgendwie mit der Sowjetunion zu tun hatte, in der Bundesrepublik Deutschland misstrauisch beäugt.

Der Obelisk auf dem Ehrenfriedhof (2019) © Fotograf: Oliver Nickel

Doch die Zeit des „Eisernen Vorhangs“, der Ost und West trennte, ging zu Ende. Am 13. Juni 1989 kam hoher Besuch nach Stukenbrock: Raissa Gorbatschowa, die Frau des sowjetischen Staatspräsidenten, Hannelore Kohl, die Frau des deutschen Bundeskanzlers und Christina Rau, die Frau des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. Sie gedachten der Toten in einer gemeinsamen Veranstaltung. Die Bilder gingen durch die Presse, auch international. Der kleine Ort mit seiner grausamen Geschichte stand auf einmal im Rampenlicht.

Raissa Gorbatschow (Mitte), rechts Christina Rau (Frau des damaligen Ministerpräsidenten von NRW), links Hannelore Kohl (Frau des damaligen Bundeskanzlers) bei ihrem Besuch in Senne 1989 © Fotograf unbekannt, Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock

Nach dem Mauerfall und sicher auch als Folge dieses prominenten Besuch zeigten die jahrzehntelangen Bemühungen einzelner Engagierter endlich Wirkung: Im ehemaligen Arrestgebäude, das heute auf dem Gelände der Polizeischule liegt, wurde 1996 eine Dauerausstellung über die Geschichte des Stalag VI K (326) Senne eröffnet, getragen von einem Förderverein und mit Hilfe zahlreicher ehrenamtlicher Mitarbeiter*innen. In dieser Ausstellung werden einige besondere Fotografien gezeigt: So hat in den Jahren 1941/42 ein Lagerarzt eine Farbdia-Serie angefertigt, die unter anderem den Aufbau des Lagers zeigt. Auch der amerikanische Dokumentarfilm, der bei der Befreiung des Lagers gedreht wurde, ist hier zu sehen.

2015, zum 70. Jahrestag des Kriegsendes, kam Bundespräsident Joachim Gauck hierher. Er sagte in seiner Rede, dass die Opfergruppe der sowjetischen Kriegsgefangenen nicht vergessen werden dürfe. Außerdem sprach er eine (lange Zeit schwierige) Wahrheit aus:

Viele wollten das nach dem Krieg noch sehr lange Zeit nicht wahrhaben. Aber spätestens heute wissen wir: Auch die Wehrmacht hat sich schwerer und schwerster Verbrechen schuldig gemacht.

Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Kriegsende am 6. Mai 2015 in Schloß Holte-Stukenbrock

Derzeit wird der Ausbau der Gedenkstätte geplant. Wenn alles klappt, soll auf dem Gelände neben einem Besucherzentrum mit neuer Dauerausstellung auch ein Seminargebäude mit Übernachtungsmöglichkeiten für interessierte Gruppen entstehen.


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