Wietzendorf

Das sogenannte Russenlager Stalag 310 (X D) im niedersächsischen Wietzendorf – zwischen Hannover und Hamburg – errichtet die Wehrmacht bereits im Mai 1941. Im Juli kommen die ersten Transporte mit sowjetischen Kriegsgefangenen an. Dort gibt es in der ersten Zeit überhaupt keine Bebauung: Das Lager besteht aus einem mit Stacheldraht umzäunten, waldigen Gelände. Die Kriegsgefangenen graben daher Erdhütten, um sich irgendwie gegen die Witterung zu schützen. Und da es nichts zu essen gibt, brechen sie Zweige und Rinde von den Bäumen und essen sie. Auf Fotos ist zu sehen, dass die Baumstämme bis zu einer bestimmten Höhe kahl sind.
Mit diesen Bildern machen die Deutschen wiederum Propaganda, nach dem Motto: Schaut mal, das sind eher Tiere als Menschen! Dabei ermöglichen sie den Gefangen ein menschenwürdiges Leben gar nicht – entgegen den Vereinbarungen in den Genfer Konventionen, in denen geregelt ist, wie Kriegsgefangene behandelt werden müssen.

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Das „Russenlager“ in Wietzendorf in der Erinnerung von Anwohnern

Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm „Keine Kameraden“ (2011) von Beate Lehr-Metzger

Die Lebensbedingungen sind in Wietzendorf also dramatisch und die Sterblichkeitsrate extrem hoch: Allein zwischen Juli 1941 und März 1942 sterben dort mindestens 14.300 sowjetische Kriegsgefangene an Hunger, Kälte und Krankheiten, vor allem an Fleckfieber, das im ersten Winter ausbricht. Ab Herbst 1941 ist das „Russenlager“ derart überfüllt, dass die Wehrmacht Inhaftierte in das Stalag X B Sandbostel überstellt.

Im August 1942 löst die Wehrmacht Wietzendorf als eigenständiges Lager auf und unterstellt es dem Stalag in Sandbostel. Als Zweiglager dient Wietzendorf nun vor allem als Lazarett für sowjetische Kriegsgefangene. Diese kommen allerdings großteils nur noch zum Sterben hierher. Sie werden nicht gesund gepflegt.
Der Ukrainer Sergej Litwin verbrachte nach seiner Ankunft in Deutschland wenige Tage hier, bevor er ins Stalag X B Sandbostel gebracht wurde. Er schreibt über Wietzendorf:

Hier starben die Kriegsgefangenen wie Fliegen im Spätherbst.“

Sergej Litwin: Aus den Erinnerungen eines sowjetischen Kriegsgefangenen, ehemaliger Häftling des Konzentrationslagers Stalag XB Sandbostel (1995) © Gedenkstätte Lager Sandbostel

Lager für italienische Militärinternierte

Ab Herbst 1943 nimmt das Lager dann wieder Kriegsgefangene auf: Zehntausende italienische Militärinternierte werden hier registriert und dann in Arbeitskommandos der Wehrkreise X und XI verteilt. Im letzten Kriegsjahr kommen nur noch Offiziere der italienischen Armee hierher, offiziell heißt das Lager nun Oflag 83. Es ist das größte Offizierslager für italienische Militärinternierte im Deutschen Reich. Kurz vor Kriegsende verlegt die Wehrmacht dann noch 3.000 französische Offiziere aus Arnswalde, Sandbostel und Nienburg nach Wietzendorf. Am 16. April 1945 befreien britische Truppen das Lager.

Schaut man sich die Sterbezahlen des Lagers an, wird deutlich, dass die Bedingungen für die Gefangenen der verschiedenen Nationalitäten extrem unterschiedlich waren: Zwischen August 1941 und April 1945 starben
16.000 sowjetische Kriegsgefangene (mindestens)
30 italienische Militärinternierte und
1 französischer Kriegsgefangener.

Am historischen Ort erinnert nur noch ein kleiner Gedenkstein an dieses Stammlager. Auf dem Lagerfriedhof, wo die etwa 16.000 Rotarmisten in Massengräbern verscharrt liegen, befindet sich ein Denkmal, das schon kurz nach der Befreiung von sowjetischer Seite initiiert wurde.
Weitere Informationen über das Stalag 310 findet man heute in der Gedenkstätte Bergen-Belsen und auf der Webseite der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten.

Gedenkstein auf dem Kriegsgefangenen-Friedhof, der gar nicht immer zu betreten ist. Das Gelände gehört heute der Bundeswehr. Wenn dort Truppenübungen stattfinden, ist der Zugang gesperrt. © Fotograf: Andreas Ehresmann

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