Rechtslage

Der Krieg begann mit einem Vertragsbruch: 1939 hatten das Deutsche Reich und die Sowjetunion einen Nichtangriffspakt (auch: Hitler-Stalin-Pakt) geschlossen. Der Überfall der Deutschen war ideologisch motiviert. Es ging um den „Kampf zweier Weltanschauungen“. Und das hatte Folgen für die Art der Kriegsführung: „Wir müssen von dem Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf“, sagte Hitler am 30. März 1941 gegenüber seinen Generälen.
Und die Wehrmacht setzte die unsoldatische und völkerrechtswidrige Kriegsführung um. Der Angriff, geplant unter dem Tarnnamen „Fall Barbarossa“, ging einher mit mehreren verbrecherischen Befehlen an die Truppe. Schon am 13. Mai 1941 wurde in einem Erlass zur „Kriegsgerichtsbarkeit“ festgehalten, dass deutsche Soldaten gegen sowjetische Zivilist*innen vorgehen und sie sogar töten dürfen. Diese Taten sollten nicht weiter untersucht und geahndet werden müssen. Und zwar auch dann nicht, „wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist.“ Die Begründung:

„Bei der Beurteilung solcher Taten ist in jeder Verfahrenslage zu berücksichtigen, daß der Zusammenbruch im Jahre 1918, die spätere Leidenszeit des deutschen Volkes und der Kampf gegen den Nationalsozialismus mit den zahllosen Blutopfern der Bewegung entscheidend auf bolschewistischen Einfluß zurückzuführen war und daß kein Deutscher dies vergessen hat.“  

Kommissarbefehl

Am 6. Juni 1941 wurde der sogenannte „Kommissarbefehl“ erlassen. Entgegen den Vereinbarungen in den Genfer Konventionen, denen Deutschland verpflichtet war, sollten politische Kommissare (oder: Politoffiziere) sofort nach der Gefangennahme noch an der Front ermordet werden: „Diese Kommissare werden nicht als Soldaten anerkannt; der für Kriegsgefangene völkerrechtlich geltende Schutz findet auf sie keine Anwendung. Sie sind nach durchgeführter Absonderung zu erledigen.“ Zu erkennen wären die Kommissare an den roten Sternen mit golden eingewebtem Hammer und Sichel auf den Ärmeln, heißt es weiter in dem Befehl.
Bei der Tötung von kriegsgefangenen Politoffizieren und Juden, die ebenfalls ausgesondert wurden, bekam die Wehrmacht Unterstützung von der SS. Die ging mit ihren „Einsatzgruppen“ hinter der Front auch gezielt gegen die Zivilbevölkerung vor und führte Massenerschießungen hauptsächlich an Jüdinnen und Juden durch.
Auf Grundlage der SS-Einsatzbefehle Nr. 8 und 9 vom 17. und 21. Juli 1941 konnten auch im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten bis Kriegsende „untragbare Elemente“ in den Stalags ausgesondert und ermordet werden. Wer als „untragbar“ galt, entschieden Einsatzkommandos der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), die zur Überprüfung der Gefangenen in die Lager und die dazugehörigen Arbeitskommandos kamen. Unterstützt wurden sie vor Ort von den Nachrichtenoffizieren der Wehrmacht. Die „Ausgesonderten“ wurden offiziell aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, ins nächstgelegene Konzentrationslager überstellt und dort erschossen. Michail Botschkarjow erzählt in seinem lebensgeschichtlichen Interview vom „Bösen Häuschen“ im KZ Buchenwald, wo sowjetische Kriegsgefangene mit einer Genickschussanlage getötet wurden.
Die Morde unmittelbar nach Ankunft in den KZs endeten Mitte 1942, ebenso die Besuche der Gestapo-Einsatzkommandos in den Lagern. Von da an konnte die Überstellung an die Gestapo zur Einweisung in ein KZ als Strafmaßnahme durch den jeweiligen Stalag-Kommandanten angeordnet werden. Die überstellten sowjetischen Soldaten wurden dann zu KZ-Häftlingen.

Kriegsgefangene

Auch die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen entsprach schon in der Planung nicht den völkerrechtlichen Vorschriften. Das Argument, die schiere Masse von Menschen, die in den ersten Monaten in Gefangenschaft geriet, habe die Wehrmacht unvorbereitet getroffen und deshalb seien die Gefangenen nicht ausreichend versorgt worden, ist nur vorgeschoben. Der Hungertod von Millionen war durch die Vorgabe Hitlers, so wenig Nahrungsmittel, Baumaterialien, Kleidung und Medizin wie möglich einzusetzen, vorauszusehen. Außerdem unterband die Wehrmacht Kontrollbesuche der sowjetischen Kriegsgefangenen durch humanitäre Hilfsorganisationen wie das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und von Diplomaten neutraler Staaten. Postverkehr mit der Heimat wurde ebenso unterbunden wie der Empfang von Hilfspaketen mit zusätzlichen Lebensmitteln. Und es wurde verfügt, dass geleistete Arbeit durch die Arbeitgeber nicht, später nur minimal, entlohnt werden musste.

Kein Dach über Kopf, keine sanitären Einrichtungen, keine ausreichende Versorgung: Aufnahme aus dem Stalag in Wietzendorf im Herbst/Winter 1941 © Kreisarchiv Heidekreis, B 1/6

Stalins Befehle

Auch auf sowjetischer Seite ergingen Befehle an die Soldat*innen, die hoch problematisch waren. Mit dem Befehl Nr. 270 vom 16. August 1941, dreieinhalb Wochen nach dem deutschen Überfall, belegte Stalin Offiziere mit der Todesstrafe, die sich der Wehrmacht ergaben oder den Rückzug antraten. Kriegsgefangene seien als Verräter anzusehen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits Hunderttausende in Gefangenschaft geraten, denn die Rote Armee war auf den Krieg nicht vorbereitet gewesen und wurde zu Beginn einfach überrannt. Schlechte Führung durch größtenteils unerfahrene Offiziere verschlimmerte die Lage.
Am 8. Juli 1942 erging ein weiterer Haltebefehl, der Befehl Nr. 227: „Keinen Schritt zurück!“: Der militärische Rückzug wurde einfach verboten, egal, wie ausweglos die Situation erschien. Eine spezielle Einheit sollte hinter den Truppen stehen, um „Deserteure“ sofort an die Front zurück zu schicken oder zu erschießen.

Nach Kriegsende waren es diese Befehle, wegen denen sich überlebende Rotarmist*innen aus deutschen Kriegsgefangenenlagern vor dem sowjetischen Geheimdienst in den Filtrationslagern rechtfertigen mussten. Wurde nachgewiesen oder auch nur vermutet, man habe mit den Deutschen zusammengearbeitet, konnte man zum Tod verurteilt oder in ein GULAG-Arbeitslager eingewiesen werden. Auch die Familien der Gefangenen wurden geächtet. Erst 1995 wurden ehemalige Kriegsgefangene durch einen Erlass des russischen Präsidenten Boris Jelzin rehabilitiert.


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