Widerstand

Die Möglichkeiten, Widerstand zu leisten und sich zu organisieren, waren für sowjetische Kriegsgefangene, die ins Deutsche Reich gebracht worden waren, deutlich eingeschränkt: Sie konnten kaum auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen, auch der Kontakt zu den Kriegsgefangenen anderer Nationalitäten wurde im Regelfall unterbunden, dazu kamen die Verständigungsprobleme.
Dennoch gründeten sich ab 1942 in vielen Lagern und insbesondere in Lazaretten Widerstandsgruppen. Ihr wichtigstes Ziel war die Verbesserung der Lebensbedingungen der Gefangenen. Dafür versuchten sie, eigene Leute als Funktionsgefangene in die Verwaltungen einzuschleusen. Die konnten sich dort um eine gerechtere Lebensmittelverteilung, die Beendigung von Übergriffen der Lagerpolizei (die aus Gefangenen bestand) oder die Beschaffung und Verteilung von Informationen über den Kriegsverlauf bemühen. Es wurden Fluchten organisiert, Kranke oder Erschöpfte länger in den Krankenstationen behalten als von den Deutschen vorgesehen und falsche Identitäten an von „Aussonderung“ bedrohte Gefangene vergeben.

Lazarette und Schreibstuben

Lazarette waren überall in Deutschland häufig zentral für diese Widerstandsorganisationen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Das Personal konnte sich richtig kennen lernen und Vertrauen aufbauen, da es selten Versetzungen gab und Ärzt*innen und Pflegekräfte konnten sich freier bewegen als andere. Die Wachmannschaften hatten schlicht Angst, sich dort anzustecken, und betraten die Krankensäle selten. Die Widerständlerin Antonina Konjakina, die im Lazarett in Bergen-Belsen arbeitete, erzählte später von den Aktionen des geheimen „Hannoveraner Komitees“. Demnach war eine wichtige Funktion des organisierten Widerstands auch, die anderen Gefangenen moralisch zu stärken. Später gehörte dazu, Kameraden vom Eintritt in die Wlassow-Armee oder andere Freiwilligenverbände der Wehrmacht abzuhalten, erzählt Dawid Dodin. Er war Schreiber in der Lagerverwaltung vom Kriegsgefangenenlager in Zeithain und hatte aufgrund seiner Sprachkenntnisse nicht nur einen besseren Kontakt zum deutschen Wachpersonal, sondern kam an seinem Arbeitsplatz auch mit französischen Kriegsgefangenen leichter in Kontakt.

Sowjetische Kriegsgefangene vor einem Lager in Altena (NRW), auf dem Rücken die Kennzeichnung SU für Sowjetunion (1943) © Kreisarchiv Märkischer Kreis, Signatur Slg Winter 01732

In den Arbeitskommandos kam es außerdem zu Sabotage oder Arbeitsverweigerung. All diese Aktionen konnten die Beteiligten das Leben kosten: Sie wurden dann in der Regel aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei, übergeben, in ein Konzentrationslager überstellt und bestraft. Lew Mischtschenko berichtet in seinem Zeitzeugeninterview, er sei verdächtigt worden, bei der Arbeit sabotiert zu haben, und dafür – ohne Beweise oder Geständnis – in das KZ Buchenwald gebracht worden.

Heutige Recherchen zu diesem Thema stützen sich in erster Linie auf Aussagen von ehemaligen Gefangenen, denn viele Täter-Dokumente, beispielsweise Gestapo- oder SS-Unterlagen, sind vor Kriegsende zerstört worden. Die Rückkehrer*innen aus der Gefangenschaft hatten in der unmittelbaren Nachkriegszeit kein Publikum für ihre Geschichten. Aber nach Stalins Tod ergriffen einige die Chance, dem vorherrschenden Bild der Kriegsgefangenen als „Vaterlandsverräter“ und Feiglinge etwas entgegenzusetzen und sich selbst und die Kameraden als heimattreue Widerständler*innen darzustellen.


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