Die Wlassow-Armee

Gemeint ist die sogenannte Russische Befreiungsarmee ROA, ein Kampfverband aus russischen Freiwilligen, der ab Herbst 1944 zusammen mit der Wehrmacht und der SS gegen die Sowjetunion kämpfte. Aus ideologischen Gründen – die Nazis und Hitler hielten Slawen schließlich für „Untermenschen“ – war die Bildung einer solchen Truppe lange nicht vorstellbar gewesen. In den sogenannten „Ostlegionen“ kämpften seit 1942 nur nichtrussische Minderheitenvölker der Sowjetunion gemeinsam mit den Deutschen, also Armenier, Georgier, Tataren und andere: Die Deutschen nutzten Identitätskonflikte des Vielvölkerstaats für ihre Zwecke. Zudem gab es seit Kriegsbeginn „Hilfswillige“, die als Wehrmachtgefolge an der Ostfront und in den besetzten Gebieten eingesetzt wurden.

Anwerbungsversuche

Für die Teilnahme in der ROA wurde vor allem unter Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern geworben. Nicht erst nach Kriegsende galten Männer, die mitmachten, als Verräter: In den Berichten der Zeitzeuge*innen kommt immer wieder vor, wie schlecht sie auch unter den Gefangenen angesehen waren. Manche schlossen sich dennoch an, weil sie gegen Stalin waren und tatsächlich glaubten, sie würden für ein „freies Russland“ kämpfen. Die meisten der „Freiwilligen“ meldeten sich aber vermutlich aufgrund der schlechten Lebensbedingungen in den Stalags und Konzentrationslagern. Sie wollten lieber kämpfen, als im Lager zu verhungern.
Der Verband unterstand ab Februar 1945 dem Kommando des 1942 von den Deutschen gefangen genommenen Generalleutnants der Roten Armee Andrei Andrejewitsch Wlassow. Seine Rolle wurde im Nachhinein propagandistisch aufgebauscht, so dass auch Zeitzeug*innen in ihren Berichten fast immer von einer „Wlassow-Armee“ sprechen, auch wenn sie von Überläufern vor 1945 sprechen. Die ROA umfasste zeitweise etwa 100.000 Mann.

Die ehemaligen Rotarmisten erhielten als Soldaten der Russischen Befreiungsarmee deutsche Uniformen mit eigenen Rangabzeichen. Rechts im Bild: Andrei Wlassow (1944) © Bundesarchiv, Bild 183-N0301-503 / CC-BY-SA 3.0

Nach Kriegsende wurden alle befreiten sowjetischen Bürger*innen in Filtrationslagern befragt: Hatte der- oder diejenige mit den Deutschen kollaboriert oder gar gegen die Sowjetunion gekämpft? Waren Personen bekannt, die sich der Wlassow-Armee angeschlossen hatten? Jede Form von tatsächlicher oder vermeintlicher Zusammenarbeit wurde als Landesverrat gewertet und mit GULAG-Haft oder Tod bestraft. Wlassow selbst und 9 weitere Generäle wurden 1946 in Moskau hingerichtet.
Auch Sergej Litwin beobachtete im Stalag X B Sandbostel, wie Männer rekrutiert wurden. Er schreibt 1995 in seinen „Erinnerungen eines sowjetischen Kriegsgefangenen, ehemaliger Häftling des Konzentrationslagers Stalag X B Sandbostel in Deutschland“:

Einige Soldaten und Offiziere waren bereit, in der Armee des Generals Wlassow zu dienen. Die wurden in ein Lager bei Berlin gebracht, das den Namen „Die Schule der russischen Befreiungsarmee“ trug. Einige Offiziere der Wlassow-Armee und ein Geistlicher kamen ins Lager X B und agitierten für den Dienst bei Wlassow. Sie erzählten, daß sich in diesem Lager der Kommandeur unserer Division N 48, General Baranow, befand. Aber die Wlassow-Armee war unpopulär. Ich sah einige Tage nachdem die Engländer das Lager X B befreit hatten, daß eine Leiche eines Offiziers der Wlassow-Armee im Graben außerhalb des Lagers lag. Er war in Uniform und die Kriegsgefangenen weigerten sich, ihn zu begraben, genauso wie die Engländer, die als unsere Alliierte sich mit uns solidarisch verhielten.

Dawid Dodin erzählt in seinem Zeitzeugen-Interview, dass es sich die geheime Widerstandsgruppe in Zeithain zur Aufgabe gemacht hatte, Beitritte zur Wlassow-Armee zu verhindern.


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