Sandbostel

Die Geschichte des Lagergeländes in Sandbostel bei Bremervörde reicht bis in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurück: Schon 1926 wird an diesem Ort ein Barackenlager für Strafgefangene geplant. 1932 entsteht ein „Arbeitsdienstlager“ („Arbeitsdienst“ ist ursprünglich ein freiwilliger Dienst für das eigene Land), das ein Jahr später die Nationalsozialisten übernehmen. Zwischen 1935 und 1938 führt der sogenannte „Reichsarbeitsdienst“ die Einrichtung – in dieser Zeit arbeiten hier junge Männer mindestens sechs Monate in einem Pflichtdienst gegen geringen Lohn und werden im nationalsozialistischen Sinn geschult.
Das Gelände wird vor dem Überfall auf Polen im Spätsommer 1939 von der Wehrmacht als Kriegsgefangenenlager bestimmt: Das nordniedersächsische Sandbostel liegt abgelegen, aber dennoch zentral im Wehrkreis X. Die leerstehenden Baracken des Reichsarbeitsdienst-Lagers sollen den Wachmannschaften zur Verfügung stehen.

Luftaufnahme der Royal Air Force
Die Royal Air Force macht dieses Bild am 9. April 1945. Das Lager und die Wachtürme sind markiert, rundherum sind Felder. © The National Archives, London, TNA AIR 40/231, 16/2003 Frame 3203

Lagerstruktur

Der Aufbau des eigentlichen Lagers wird von örtlichen Handwerkern begonnen. Ab 1940 übernehmen Kriegsgefangene diese Arbeit. Als erstes kommen Polen. Sie sind zu Beginn in nicht beheizten Großzelten untergebracht.
Die Wehrmacht plant zunächst ein Lager für etwa 10.000 Personen. Mit der Ausdehnung des Kriegs auch nach Westeuropa wird die Aufnahmekapazität auf bis zu 30.000 drastisch erhöht.
Auf dem Gelände befinden sich vier Lagerteile: Das Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager (Stalag), ein Offizierslager (Oflag), ein Marinelager (Marlag) und ein Internierungslager für Zivilpersonen (Ilag). Diese Zivilisten sind zum Beispiel Menschen mit der Staatsangehörigkeit eines gegnerischen Landes, die bei Kriegsbeginn im Deutschen Reich leben und arbeiten und nun festgesetzt werden. In Sandbostel sind das vor allem Schiffspassagiere aus der ganzen Welt. Insgesamt durchlaufen zwischen 1939 und 1945 mindestens 313.000 Gefangene aus mehr als 55 Nationen das Stalag X B Sandbostel.
Es gibt eine ganze Reihe von historischen Fotos aus Sandbostel, aufgenommen oft als private „Andenken“ vom deutschen Wachpersonal:

Sergej Litwin, ein ehemaliger sowjetischer Häftling, beschreibt das Lager so:

„Die Wachtürme und Wachposten standen außerhalb des Lagers. Es gab nur ein einziges Tor – den Haupteingang. In der Nähe des Tores war die Kommandantur. Rechts vom Tor befand sich ein Wachturm mit einem Maschinengewehrschützen. Durch das Lager verlief ein Hauptweg mit der Schmalspurbahn. Der Weg war gepflastert. Über diese Schmalspurbahn wurden Brennstoffe und andere Materialien zugestellt. In der Nähe des Haupteingangs befand sich auch die Sanitätsstelle, wo die Kranken behandelt und die Kriegsgefangenen gewaschen wurden. Die Kriegsgefangenen der einzelnen Nationen, die mit Deutschland im Krieg lagen oder von Deutschland okkupiert waren, wurden jeweils speziellen Blocks zugeteilt.“

Nach den polnischen Kriegsgefangenen kommen 1940 Franzosen und Belgier, 1941 Serben, Sowjets, Amerikaner und Briten, 1943 italienische Militärinternierte. Je nach Nationalität sind die Lebensbedingungen unterschiedlich. Bei den „westlichen“ Gefangenen hält sich die Wehrmacht noch weitgehend an die Vereinbarungen der Genfer Konventionen. Die sowjetischen Kriegsgefangenen werden dagegen systematisch unterversorgt und erhalten keine medizinische Behandlung, weshalb Tausende schon im ersten Winter 1941/42 sterben. Sie werden auf dem Lagerfriedhof in Sandbostel in Massengräbern verscharrt.

Hinweisschild auf dem Lagerfriedhof: „Im Sommer 1945 errichteten sowjetische Militärdienststellen dieses Ehrenmal. 1956 ließ das Land Niedersachsen es sprengen mit der Begründung, die darauf genannte Zahl der russischen Toten sei falsch.“ © Fotografin: Ruth Preusse

Arbeit und Tod

Die Kriegsgefangenen müssen für die Deutschen arbeiten und werden dafür in der Umgebung auf sogenannte Arbeitskommandos verteilt. Das ist grundsätzlich erlaubt – allerdings sind die Bedingungen für die Rotarmist*innen menschenunwürdig: Sie werden zu besonders harten Arbeiten herangezogen und erhalten dabei weiterhin wenig und schlechte Nahrung. Von der ohnehin geringen Bezahlung werden ihnen die Kosten für Unterbringung und Verpflegung noch abgezogen. Wer zu schwach zum Arbeiten ist, wird zurück ins Stalag geschickt, wo die meisten sterben, weil sie nicht versorgt werden.
Durch die zahlreichen Einsatzorte gehören sowjetische Kriegsgefangene zum alltäglichen Bild auf dem Land und in der Stadt. Auch die Bedingungen, unter denen sie leben und arbeiten müssen, ist für alle, die es sehen wollen, sichtbar. Von Sandbostel aus werden zeitweilig über 670 Arbeitskommandos gleichzeitig im gesamten Elbe-Weser-Dreieck verwaltet: In der Land- und Forstwirtschaft, der Rüstungsproduktion, beim Torfabbau und im Handwerk. Insgesamt sind über 1.100 Einsätze in dieser Region nachweisbar.

Kurz vor Kriegsende bringt die SS, die seit dem Sommer 1944 auch Zugriff auf das Kriegsgefangenenwesen hat, 9.500 KZ-Häftlinge auf Todesmärschen aus dem KZ Neuengamme nach Sandbostel. Noch in den letzten Wochen sterben dort tausende Menschen an Erschöpfung, Hunger, Krankheiten oder werden von den Wachmannschaften getötet. Die genauen Todeszahlen sind bis heute nicht bekannt.
Das Lager wird am 29. April 1945 von britischen Truppen befreit. Nach dem Krieg werden die Baracken weiter genutzt. Erst 2007 werden Teile des Geländes zur Gedenkstätte Lager Sandbostel. Einer der Redner bei der Eröffnungsfeier ist der ehemalige Häftling Sergej Litwin


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